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Geschichte zur Pest und Pfarrer Besserer
„.. Verstört sah er sich um, ja, ja, er stand wieder auf dem Kirchhof, wie oft in letzter Zeit; 65 seiner Kinder hatte er beerdigt, nun rief ihn Gott selbst zu sich. „Herr, dein Wille geschehe, ich bin bereit, ich komme, Amen.“ Christoph, der die letzten, laut gesprochenen Worte gehört hatte, erschauerte ob dieser Vision seines geistlichen Herrn. Ja, sollten denn nun noch nicht genug der Opfer sein? Der Gottesacker war voll belegt, nicht ein Ruheplätzchen war mehr frei. Wenn noch jemand starb, so wußte er nicht wohin, doch Gott sei Dank, im Dorf war niemand mehr krank, die wenigen Überlebenden waren alle gesund. Wer sollte von denen wohl noch sterben? Aber vergewissern wollte er sich noch beim Pfarrer, vielleicht wusste der noch Rat, denn wenn ein Grab benötigt wurde, konnte nicht erst lange nach einem Ruheplatz gesucht werden. Deshalb frug er: „Herr Pfarrer, der Gottesacker ist voll belegt, soll ich noch ein Grab vorrichten?“ „Lasset uns durchgehen und suchen“, sagte der Geistliche mit einer Ruhe, die dem Totengräber unheimlich vorkam. Langsam gingen sie um die Kirche herum und besahen sich die Reihen der Gräber, aber nirgends war noch ein Platz. Doch halt, war nicht vorn am Toreingang noch eine freie Stelle? Warum mochte die nicht belegt sein? War dies eine Erbstelle? „Höre, Christoph“, sagte der Pfarrer, „mache dieses Grab noch zurecht, es ist die letzte Stelle, die noch frei ist“, dabei zeigte er auf das unbenutzte Grab. Christoph sah erschrocken seinen Pfarrherrn an, ermahnte sich aber und erwiderte mit einer Stimme, die Peter Besserer noch nie gehört hatte, so ängstlich war sie: „Herr Pfarrer, dieses Grab darf ich nicht öffnen, es wäre Sünde, wenn ich es tun würde, Alles will ich tun, aber das nicht.“ Der Pfarrer sah ihm scharf in die Augen und sagte kurz: „Es ist die einzige freie Stelle, tue wie ich dir befahl, morgen wird das Grab benötigt.“ Da warf sich Christoph vor ihm auf die Knie und bat: „Herr Pfarrer, Ihr wisst nicht, was Ihr von mir verlangt, ich kann darf das nicht, habt Erbarmen mit mir alten Mann“, und langsam rannen ihm die Tränen über das vor Gram zerfurchte, gebräunte Bauerngesicht. „Steh auf, mein Sohn, und nun heraus mit der Sprache, was hat es mit diesem Grab für ein Bewandtnis?“ befahl der Geistliche, und half seinem alten Totengräber auf. Dabei sah er ihn so freundlich an, daß Christoph den Mut fand, das Geheimnis dieser Grabstelle zu lüften. Und so sagte er in leisem Ton: „Herr Pfarrer, dieses Grab birgt den letzten Pestkranken von 1463 und wurde schon damals nur notgedrungen benutzt. Wer dies Grab öffnen läßt, für den ist es bestimmt, deshalb hat es noch niemand in der Gemeinde haben wollen, trotzdem es einer der schönsten Plätze ist. Der damalige Totengräber hat es widerrechtlich geöffnet und am nächsten Tage starb er an der Pest, die schon lange erloschen war.“ Peter Besserer, der nun schon 33 Jahre gegen jeglichen Aberglauben angekämpft hatte, sah ein, daß er in der Gemeinde noch genau so tief wurzelte, wie bei seinem Amtsantritt, und daß die Unsitte auch nie auszurotten sei, solche Geschichten zu glauben, deshalb entgegnete er kurz in energischem Ton: „Christoph, tue, wie ich dir befahl“ und verließ langsam den Gottesacker. Lange sah der alte Totengräber seinem Pfarrer nach, dann machte er sich an die Arbeit, dieses letzte Grab auszuschaufeln. Leichter wurde ihm erst, als er keine Gebeine darinnen fand, trotzdem er sehr tief ging und die Erde genau untersuchte. „Sollte es doch Unsinn sein, das Gerede?“ frug er sich im Stillen, und so beschloß er, dieses letzte Grab sollte sein Meisterstück werden. Besonders schön und sauber stach er die Gruft aus, schmückte sie mit Tannengrün und ordnete die ausgeschaufelte Erde, denn es galt ein Meisterstück zu schaffen. Als er am nächsten Morgen die letzte Hand angelegt hatte, betrat aufgeregt der Schulmeister den Gottesacker und kam auf Christoph zu. „Christoph, Christoph, eben ist unser lieber Herr Pfarrer verschieden, bereite ein Grab vor, damit heute vormittag die Beerdigung vorgenommen werden kann“ rief er dem verstört dastehenden Totengräber entgegen. Erschüttert zeigte dieser auf die ausgeschmückte Gruft und sagte: „Das Grab ist fertig, er hät es selbst bestellt.“ Der Schulmeister verließ still den Friedhof, er kannte die Überlieferung von 1463, und nun konnte er auch das stille, zuversichtliche Wesen seines besten Freundes verstehen, als er kurz vor seinem Hinscheiden sagte: „Mein lieber Freund, die Pest ist mit mir erloschen.“ Gestern abend war Heinrich Haller noch im Pfarrhaus, um wie jeden Tag nach seinem einsamen, alten Freund zu sehen, doch da lag er schon stark fiebernd im Bett und kannte den Besucher nicht mehr. Seine im Fieber gesprochenen Worte waren immer: „Herr, ich komme, ich bin bereit.“ Kurz bevor er hinüberging, richtete er sich noch einmal auf und sagte: „Mein Freund, die Pest ist mit mir erloschen.“ Dann fiel er tot um. Als der erste evangelische Pfarrer von Leitlitz, Peter Besserer, zur ewigen Ruhe gebettet wurde, umstanden etwa10 Einwohner tief betrübt sein so reich geschmücktes Grab. Der Kandidat sprach seine schönste Grabrede und berichtete ihnen die Offenbarung Gottes durch den Mund seines ersten lutherischen Dieners: „Die Pest ist mit mir erloschen.“ Ergriffen sang nach dem Segen und dem gemeinsam gesprochenen Vaterunser die kleine Gemeinde:
Steh uns in unserem Elend bei, mach uns von allen Seuchen frei, sieh nicht an unsere Sünde groß, sprich uns davon in Gnaden los. Auf daß von Herzen können wir, nochmals mit Freuden danken dir, gehorsam sein nach deinem Wort, dich allzeit preisen hier und dort.
Die Pest war mit Peter Besserer erloschen, 66 blühende Menschen hatte sie dahingerafft, und nur schwer konnte sich das kleine, im Tal gelegene Dörflein wieder erholen. Aber noch einmal kam eine schwere Zeit, der 30jährige Krieg, der das Dorf bis auf zwei Einwohner vernichtete“
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